Dritter Aufzug

Die Szene: ein Vorsaal auf dem Lustschlosse des Prinzen.

Erster Auftritt

Der Prinz. Marinelli.

Marinelli. Umsonst; er schlug die angetragene Ehre mit der größten Verachtung aus.

Der Prinz. Und so bleibt es dabei? So geht es vor sich? so wird Emilia noch heute die Seinige?

Marinelli. Allem Ansehen nach.

Der Prinz. Ich versprach mir von Ihrem Einfalle so viel! - Wer weiß, wie albern Sie sich dabei genommen. - Wenn der Rat eines Toren einmal gut ist, so muß ihn ein gescheiter Mann ausführen. Das hätt' ich bedenken sollen.

Marinelli. Da find ich mich schön belohnt!

Der Prinz. Und wofür belohnt?

Marinelli. Daß ich noch mein Leben darüber in die Schanze schlagen wollte. - Als ich sahe, daß weder Ernst noch Spott den Grafen bewegen konnte, seine Liebe der Ehre nachzusetzen, versucht' ich es, ihn in Harnisch zu jagen. Ich sagte ihm Dinge, über die er sich vergaß. Er stieß Beleidigungen gegen mich aus, und ich forderte Genugtuung - und forderte sie gleich auf der Stelle. - Ich dachte so: entweder er mich oder ich ihn. Ich ihn: so ist das Feld ganz unser. Oder er mich: nun, wenn auch; so muß er fliehen, und der Prinz gewinnt wenigstens Zeit.

Der Prinz. Das hätten Sie getan, Marinelli?

Marinelli. Ha! man sollt' es voraus wissen, wenn man so töricht bereit ist, sich für die Großen aufzuopfern - man sollt' es voraus wissen, wie erkenntlich sie sein würden -

Der Prinz. Und der Graf? - Er stehet in dem Rufe, sich so etwas nicht zweimal sagen zu lassen.

Marinelli. Nachdem es fällt, ohne Zweifel. - Wer kann es ihm verdenken? - Er versetzte, daß er auf heute doch noch etwas Wichtigers zu tun habe, als sich mit mir den Hals zu brechen. Und so beschied er mich auf die ersten acht Tage nach der Hochzeit.

Der Prinz. Mit Emilia Galotti! Der Gedanke macht mich rasend! - Darauf ließen Sie es gut sein und gingen - und kommen und prahlen, daß Sie Ihr Leben für mich in die Schanze geschlagen, sich mir aufgeopfert -

Marinelli. Was wollen Sie aber, gnädiger Herr, das ich weiter hätte tun sollen?

Der Prinz. Weiter tun? - Als ob er etwas getan hätte!

Marinelli. Und lassen Sie doch hören, gnädiger Herr, was Sie für sich selbst getan haben. - Sie waren so glücklich, sie noch in der Kirche zu sprechen. Was haben Sie mit ihr abgeredet?

Der Prinz (höhnisch). Neugierde zur Genüge! - Die ich nur befriedigen muß. - Oh, es ging alles nach Wunsch. - Sie brauchen sich nicht weiter zu bemühen, mein allzu dienstfertiger Freund! - Sie kam meinem Verlangen mehr als halbes Weges entgegen. Ich hätte sie nur gleich mitnehmen dürfen. (Kalt und befehlend.) Nun wissen Sie, was Sie wissen wollen - und können gehn!

Marinelli. Und können gehn! - Ja, ja, das ist das Ende vom Liede! und würd' es sein, gesetzt auch, ich wollte noch das Unmögliche versuchen. - Das Unmögliche sag ich? - So unmöglich wär' es nun wohl nicht; aber kühn! - Wenn wir die Braut in unserer Gewalt hätten, so stünd' ich dafür, daß aus der Hochzeit nichts werden sollte.

Der Prinz. Ei! wofür der Mann nicht alles stehen will! Nun dürft' ich ihm nur noch ein Kommando von meiner Leibwache geben, und er legte sich an der Landstraße damit in Hinterhalt und fiele selbst funfziger einen Wagen an, und riss' ein Mädchen heraus, das er im Triumphe mir zubrächte.

Marinelli. Es ist eher ein Mädchen mit Gewalt entführt worden, ohne daß es einer gewaltsamen Entführung ähnlich gesehen.

Der Prinz. Wenn Sie das zu machen wüßten, so würden Sie nicht erst lange davon schwatzen.

Marinelli. Aber für den Ausgang müßte man nicht stehen sollen. - Es könnten sich Unglücksfälle dabei ereignen -

Der Prinz. Und es ist meine Art, daß ich Leute Dinge verantworten lasse, wofür sie nicht können!

Marinelli. Also, gnädiger Herr - (Man hört von weitem einen Schuß.) Ha! was war das? - Hört' ich recht? - Hörten Sie nicht auch, gnädiger Herr, einen Schuß fallen? - Und da noch einen!

Der Prinz. Was ist das? was gibt's?

Marinelli. Was meinen Sie wohl? - Wie, wann ich tätiger wäre, als Sie glauben?

Der Prinz. Tätiger? - So sagen Sie doch -

Marinelli. Kurz: wovon ich gesprochen, geschieht.

Der Prinz. Ist es möglich?

Marinelli. Nur vergessen Sie nicht, Prinz, wessen Sie mich eben versichert. - Ich habe nochmals Ihr Wort - -

Der Prinz. Aber die Anstalten sind doch so -

Marinelli. Als sie nur immer sein können! - Die Ausführung ist Leuten anvertrauet, auf die ich mich verlassen kann. Der Weg geht hart an der Planke des Tiergartens vorbei. Da wird ein Teil den Wagen angefallen haben; gleichsam, um ihn zu plündern. Und ein anderer Teil, wobei einer von meinen Bedienten ist, wird aus dem Tiergarten gestürzt sein; den Angefallenen gleichsam zur Hülfe. Während des Handgemenges, in das beide Teile zum Schein geraten, soll mein Bedienter Emilien ergreifen, als ob er sie retten wolle, und durch den Tiergarten in das Schloß bringen. - So ist die Abrede. - Was sagen Sie nun, Prinz?

Der Prinz. Sie überraschen mich auf eine sonderbare Art. - Und eine Bangigkeit überfällt mich - (Marinelli geht an das Fenster.) Wornach sehen Sie?

Marinelli. Dahinaus muß es sein! - Recht! - und eine Maske kömmt bereits um die Planke gesprengt - ohne Zweifel, mir den Erfolg zu berichten. - Entfernen Sie sich, gnädiger Herr.

Der Prinz. Ah, Marinelli -

Marinelli. Nun? Nicht wahr, nun hab ich zu viel getan, und vorhin zu wenig?

Der Prinz. Das nicht. Aber ich sehe bei alledem nicht ab - -

Marinelli. Absehn? - Lieber alles mit eins! - Geschwind, entfernen Sie sich. - Die Maske muß Sie nicht sehen. (Der Prinz gehet ab.)

 
Zweiter Auftritt

Marinelli und bald darauf Angelo.

Marinelli (der wieder nach dem Fenster geht). Dort fährt der Wagen langsam nach der Stadt zurück. - So langsam? Und in jedem Schlage ein Bedienter? - Das sind Anzeichen, die mir nicht gefallen - daß der Streich wohl nur halb gelungen ist: - daß man einen Verwundeten gemächlich zurückführet - und keinen Toten. - Die Maske steigt ab. - Es ist Angelo selbst. Der Tolldreiste! - Endlich, hier weiß er die Schliche. - Er winkt mir zu. Er muß seiner Sache gewiß sein. - Ha, Herr Graf, der Sie nicht nach Massa wollten, und nun noch einen weitern Weg müssen! - Wer hatte Sie die Affen so kennen gelehrt? (Indem er nach der Türe zugeht.) Jawohl sind sie hämisch. - Nun, Angelo?

Angelo (der die Maske abgenommen). Passen Sie auf, Herr Kammerherr! Man muß sie gleich bringen.

Marinelli. Und wie lief es sonst ab?

Angelo. Ich denke ja, recht gut.

Marinelli. Wie steht es mit dem Grafen?

Angelo. Zu dienen! So, so! - Aber er muß Wind gehabt haben. Denn er war nicht so ganz unbereitet.

Marinelli. Geschwind sage mir, was du mir zu sagen hast! - Ist er tot?

Angelo. Es tut mir leid um den guten Herrn.

Marinelli. Nun da, für dein mitleidiges Herz! (Gibt ihm einen Beutel mit Gold.)

Angelo. Vollends mein braver Nicolo! der das Bad mit bezahlen müssen.

Marinelli. So? Verlust auf beiden Seiten?

Angelo. Ich könnte weinen um den ehrlichen Jungen! Ob mir sein Tod schon das (indem er den Beutel in der Hand wieget) um ein Vierteil verbessert. Denn ich bin sein Erbe, weil ich ihn gerächet habe. Das ist so unser Gesetz; ein so gutes, mein ich, als für Treu' und Freundschaft je gemacht worden. Dieser Nicolo, Herr Kammerherr -

Marinelli. Mit deinem Nicolo! - Aber der Graf, der Graf -

Angelo. Blitz! der Graf hatte ihn gut gefaßt. Dafür faßt' ich auch wieder den Grafen! - Er stürzte; und wenn er noch lebendig zurück in die Kutsche kam, so steh ich dafür, daß er nicht lebendig wieder herauskommt.

Marinelli. Wenn das nur gewiß ist, Angelo.

Angelo. Ich will Ihre Kundschaft verlieren, wenn es nicht gewiß ist! - Haben Sie noch was zu befehlen? Denn mein Weg ist der weiteste: wir wollen heute noch über die Grenze.

Marinelli. So geh.

Angelo. Wenn wieder was vorfällt, Herr Kammerherr - Sie wissen, wo ich zu erfragen bin. Was sich ein andrer zu tun getrauet, wird für mich auch keine Hexerei sein. Und billiger bin ich als jeder andere. (Geht ab.)

Marinelli. Gut das! - Aber doch nicht so recht gut. - Pfui, Angelo! so ein Knicker zu sein! Einen zweiten Schuß wäre er ja wohl noch wert gewesen. - Und wie er sich vielleicht nun martern muß, der arme Graf! - Pfui, Angelo! Das heißt sein Handwerk sehr grausam treiben - und verpfuschen. - Aber davon muß der Prinz noch nichts wissen. Er muß erst selbst finden, wie zuträglich ihm dieser Tod ist. - Dieser Tod! - Was gäb' ich um die Gewißheit! -

 
Dritter Auftritt

Der Prinz. Marinelli.

Der Prinz. Dort kömmt sie die Allee herauf. Sie eilet vor dem Bedienten her. Die Furcht, wie es scheinet, beflügelt ihre Füße. Sie muß noch nichts argwöhnen. Sie glaubt sich nur vor Räubern zu retten. - Aber wie lange kann das dauren?

Marinelli. So haben wir sie doch fürs erste.

Der Prinz. Und wird die Mutter sie nicht aufsuchen? Wird der Graf ihr nicht nachkommen? Was sind wir alsdenn weiter? Wie kann ich sie ihnen vorenthalten?

Marinelli. Auf das alles weiß ich freilich noch nichts zu antworten. Aber wir müssen sehen. Gedulden Sie sich, gnädiger Herr. Der erste Schritt mußte doch getan sein. -

Der Prinz. Wozu? wenn wir ihn zurücktun müssen.

Marinelli. Vielleicht müssen wir nicht. - Da sind tausend Dinge, auf die sich weiter fußen läßt. - Und vergessen Sie denn das Vornehmste?

Der Prinz. Wie kann ich vergessen, woran ich sicher noch nicht gedacht habe? - Das Vornehmste? was ist das?

Marinelli. Die Kunst zu gefallen, zu überreden - die einem Prinzen, welcher liebt, nie fehlet.

Der Prinz. Nie fehlet? Außer, wo er sie gerade am nötigsten brauchte. - Ich habe von dieser Kunst schon heut einen zu schlechten Versuch gemacht. Mit allen Schmeicheleien und Beteuerungen konnt' ich ihr auch nicht ein Wort auspressen. Stumm und niedergeschlagen und zitternd stand sie da; wie eine Verbrecherin, die ihr Todesurteil höret. Ihre Angst steckte mich an, ich zitterte mit und schloß mit einer Bitte um Vergebung. Kaum getrau ich mir, sie wieder anzureden. - Bei ihrem Eintritte wenigstens wag ich es nicht zu sein. Sie, Marinelli, müssen sie empfangen. Ich will hier in der Nähe hören, wie es abläuft; und kommen, wenn ich mich mehr gesammelt habe.