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Unten im Garten lag seitwärts der stille Weiher, den er in jener ersten Nacht gesehen, mit dem marmornen Venusbilde. - Der Sänger
Fortunato, so kam es ihm vor, fuhr abgewendet und hoch aufrecht stehend im Kahne mitten auf dem Weiher, noch einzelne Akkorde
in seine Gitarre greifend. - Florio aber hielt auch diese Erscheinung für ein verwirrendes Blendwerk der Nacht und eilte fort und fort,
ohne sich umzusehen, bis Weiher, Garten und Palast weit hinter ihm versunken waren. Die Stadt ruhte, hell vom Monde beschienen,
vor ihm. Fernab am Horizonte verhallte nur ein leichtes Gewitter, es war eine prächtig klare Sommernacht.
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Schon flogen einzelne Lichtstreifen über den Morgenhimmel, als er vor den Toren ankam. Er suchte dort heftig Donatis Wohnung auf,
ihn wegen der Begebenheiten dieser Nacht zur Rede zu stellen. Das Landhaus lag auf einem der höchsten Plätze mit der Aussicht über
die Stadt und die ganze umliegende Gegend. Er fand daher die anmutige Stelle bald wieder. Aber anstatt der zierlichen Villa, in der er
gestern gewesen, stand nur eine niedere Hütte da, ganz von Weinlaub überrankt und von einem kleinen Gärtchen umschlossen.
Tauben, in den ersten Morgenstrahlen spiegelnd, gingen girrend auf dem Dache auf und nieder; ein tiefer, heiterer Friede herrschte
überall. Ein Mann mit dem Spaten auf der Achsel kam soeben aus dem Hause und sang:
Vergangen ist die finstre Nacht, Des Bösen Trug und Zaubermacht, Zur Arbeit weckt der lichte Tag; Frisch auf, wer Gott noch loben mag! |
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Er brach sein Lied plötzlich ab, als er den Fremden so bleich und mit verworrenem Haar daherfliegen sah. - Ganz verwirrt fragte Florio
nach Donati. Der Gärtner aber kannte den Namen nicht und schien den Fragenden für wahnsinnig zu halten. Seine Tochter dehnte sich
auf der Schwelle in die kühle Morgenluft hinauf und sah den Fremden frisch und morgenklar mit den großen, verwunderten Augen an.
- «Mein Gott! wo bin ich denn so lange gewesen!» sagte Florio halb leise in sich und floh eilig zurück durch das Tor und
die noch leeren Gassen in die Herberge.
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Hier verschloß er sich in sein Zimmer und versank ganz und gar in ein hinstarrendes Nachsinnen. Die unbeschreibliche Schönheit der
Dame, wie sie so langsam vor ihm verblich und die anmutigen Augen untergingen, hatte in seinem tiefsten Herzen eine solche
unendliche Wehmut zurückgelassen, daß er sich unwiderstehlich sehnte, hier zu sterben.
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In solchem unseligen Brüten und Träumen blieb er den ganzen Tag und die darauf folgende Nacht hindurch.
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Die früheste Morgendämmerung fand ihn schon zu Pferde vor den Toren der Stadt. Das unermüdliche Zureden seines getreuen
Dieners hatte ihn endlich zu dem Entschlusse bewogen, diese Gegend gänzlich zu verlassen. Langsam und in sich gekehrt zog er nun
die schöne Straße, die von Lucca in das Land hinausführte, zwischen den dunkelnden Bäumen, in denen die Vögel noch schliefen,
dahin. Da gesellten sich nicht gar fern von der Stadt noch drei andere Reiter zu ihm. Nicht ohne heimlichen Schauer erkannte er in
dem einen den Sänger Fortunato. Der andere war Fräulein Biankas Oheim, in dessen Landhause er an jenem verhängnisvollen Abende
getanzt. Er wurde von einem Knaben begleitet, der stillschweigend und ohne viel aufzublicken neben ihm herritt. Alle drei hatten sich
vorgenommen, miteinander das schöne Italien zu durchschweifen, und luden Florio freundlich ein, mit ihnen zu reisen. Er aber
verneigte sich schweigend, weder einwilligend noch verneinend, und nahm fortwährend an allen ihren Gesprächen nur geringen
Anteil.
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Die Morgenröte erhob sich indes immer höher und kühler über der wunderschönen Landschaft vor ihnen. Da sagte der heitre Pietro zu
Fortunato: «Seht nur, wie seltsam das Zwielicht über dem Gestein der alten Ruine auf dem Berge dort spielt! Wie oft bin ich,
schon als Knabe, mit Erstaunen, Neugier und heimlicher Scheu dort herumgeklettert! Ihr seid so vieler Sagen kundig, könnt Ihr uns
nicht Auskunft geben von dem Ursprung und Verfall dieses Schlosses, von dem so wunderliche Gerüchte im Lande gehen?» -
Florio warf einen Blick nach dem Berge. In einer großen Einsamkeit lag da altes, verfallenes Gemäuer umher, schöne, halb in die Erde
versunkene Säulen und künstlich gehauene Steine, alles von einer üppig blühenden Wildnis grünverschlungener Ranken, Hecken und
hohen Unkrauts überdeckt. Ein Weiher befand sich daneben, über dem sich ein zum Teil zertrümmertes Marmorbild erhob, hell vom
Morgen angeglüht. Es war offenbar dieselbe Gegend, dieselbe Stelle, wo er den schönen Garten und die Dame gesehen hatte. - Er
schauerte innerlichst zusammen bei dem Anblicke. - Fortunato aber sagte: «Ich weiß ein altes Lied darauf, wenn Ihr damit
fürlieb nehmen wollt.» - Und hiermit sang er, ohne sich lange zu besinnen, mit seiner klaren, fröhlichen Stimme in die heitere
Morgenluft hinaus:
Von kühnen Wunderbildern Ein großer Trümmerhauf. In reizendem Verwildern Ein blühnder Garten drauf. Versunknes Reich zu Füßen, Wenn Frühlingslüfte wehen Da will sichs unten rühren Verwirrend in den Bäumen Und unterm duftgen Schleier, Frau Venus hört das Locken, Sie sucht die alten Stellen, Doch öd sind nun die Stellen, Wo sind nun die Gespielen? Zuweilen nur Sirenen |
Sie selbst muß sinnend stehen
So bleich im Frühlingsschein, Die Augen untergehen, Der schöne Leib wird Stein. Denn über Land und Wogen Ein Kindlein in den Armen Durchdringt die ganze Welt. Da in den lichten Räumen Und, wie die Lerche singend, |
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Alle waren still geworden über dem Liede. - «Jene Ruine», sagte endlich Pietro, «wäre also ein ehemaliger
Tempel der Venus, wenn ich Euch sonst recht verstanden?» - «Allerdings», erwiderte Fortunato, «soviel
man an der Anordnung des Ganzen und den noch übriggebliebenen Verzierungen abnehmen kam. Auch sagt man, der Geist der
schönen Heidengöttin habe keine Ruhe gefunden. Aus der erschrecklichen Stille des Grabes heißt sie das Andenken an die irdische
Lust jeden Frühling immer wieder in die grüne Einsamkeit ihres verfallenen Hauses heraufsteigen und durch teuflisches Blendwerk die
alte Verführung üben an jungen, sorglosen Gemütern, die dann, vom Leben abgeschieden und doch auch nicht aufgenommen in den
Frieden der Toten, zwischen wilder Lust und schrecklicher Reue, an Leib und Seele verloren, umherirren und in der entsetzlichsten
Täuschung sich selber verzehren. Gar häufig will man auf demselben Platze Anfechtungen von Gespenstern verspürt haben, wo sich
bald eine wunderschöne Dame, bald mehrere ansehnliche Kavaliere sehen lassen und die Vorübergehenden in einem dem Auge
vorgestellten erdichteten Garten und Palast führen.» - «Seid Ihr jemals droben gewesen?» fragte hier Florio rasch,
aus seinen Gedanken erwachend. - «Erst vorgestern abends», entgegnete Fortunato. - «Und habt ihr nichts
Erschreckliches gesehen?» - «Nichts», sagte der Sänger, «als den stillen Weiher und die weißen
rätselhaften Steine im Mondlicht umher und den weiten unendlichen Sternenhimmel darüber. Ich sang ein altes, frommes Lied, eines
von jenen ursprünglichen Liedern, die wie Erinnerungen und Nachklänge aus einer heimatlichen Welt durch das Paradiesgärtlein
unsrer Kindheit ziehen und ein rechtes Wahrzeichen sind, an dem sich alle Poetischen später in dem älter gewordenen Leben immer
wiedererkennen. Glaubt mir, ein redlicher Dichter kann viel wagen, denn die Kunst, die ohne Stolz und Frevel, bespricht und bändigt
die wilden Erdengeister, die aus der Tiefe nach uns langen.»
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Alle schwiegen, die Sonne ging soeben auf vor ihnen und warf ihre funkelnden Lichter über die Erde. Da schüttelte Florio sich an allen
Gliedern, sprengte rasch eine Strecke den anderen voraus und sang mit heller Stimme:
Hier bin ich, Herr! Gegrüßt das Licht, Das durch die stille Schwüle Der müden Brust gewaltig bricht Mit seiner strengen Kühle. Nun bin ich frei! Ich taumle noch |
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Es kommt nach allen heftigen Gemütsbewegungen, die unser ganzes Wesen durchschüttern, eine stillklare Heiterkeit über die Seele,
gleich wie die Felder nach einem Gewitter frischer grünen und aufatmen. So fühlte sich auch Florio nun innerlichst erquickt; er blickte
wieder recht mutig um sich und erwartete beruhigt die Gefährten, die langsam im Grünen nachgezogen kamen.
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Der zierliche Knabe, welcher Pietro begleitete, hatte unterdes auch, wie Blumen vor den ersten Morgenstrahlen, das Köpfchen
erhoben. - Da erkannte Florio mit Erstaunen Fräulein Bianka. Er erschrak, wie sie so bleich aussah gegen jenen Abend, da er sie zum
ersten Mal unter den Zelten in reizendem Mutwillen gesehen. Die Arme war mitten in ihren sorglosen Kinderspielen von der Gewalt
der ersten Liebe überrascht worden. Und als dann der heißgeliebte Florio, den dunkeln Mächten folgend, so fremd wurde und sich
immer weiter von ihr entfernte, bis sie ihn endlich ganz verloren geben mußte, da versank sie in eine tiefe Schwermut, deren
Geheimnis sie niemand anzuvertrauen wagte. Der kluge Pietro wußte es aber wohl und hatte beschlossen, seine Nichte weit
fortzuführen und sie in fremden Gegenden und in einem andern Himmelsstrich, wo nicht zu heilen, doch zu zerstreuen und zu
erhalten. Um ungehinderter reisen zu können und zugleich alles Vergangene gleichsam von sich abzustreifen, hatte sie Knabentracht
anlegen müssen.
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Mit Wohlgefallen ruhten Florios Blicke auf der lieblichen Gestalt. Eine seltsame Verblendung hatte bisher seine Augen wie mit einem
Zaubernebel umfangen. Nun erstaunte er ordentlich, wie schön sie war! Er sprach vielerlei gerührt und mit tiefer Innigkeit zu ihr. Da
ritt sie, ganz überrascht von dem unverhofften Glück und in freudiger Demut, als verdiene sie solche Gnade nicht, mit
niedergeschlagenen Augen schweigend neben ihm her. Nur manchmal blickte sie unter den langen schwarzen Augenwimpern nach
ihm hinauf, die ganze klare Seele lag in dem Blick, als wollte sie bittend sagen: «Täusche mich nicht wieder!»
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Sie waren unterdes auf einer luftigen Höhe angelangt; hinter ihnen versank die Stadt Lucca mit ihren dunkeln Türmen in dem
schimmernden Duft. Da sagte Florio, zu Bianka gewendet: «Ich bin wie neugeboren, es ist mir, als würde noch alles gut
werden, seit ich Euch wiedergefunden. Ich möchte niemals wieder scheiden, wenn Ihr es vergönnt.»
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Bianka blickte ihn statt aller Antwort selber wie fragend mit ungewisser, noch halb zurückgehaltener Freude an und sah recht wie ein
heiteres Engelsbild auf dem tiefblauen Grunde des Morgenhimmels aus. Der Morgen schien ihnen, in langen, goldenen Strahlen über
die Fläche schießend, gerade entgegen. Die Bäume standen hell angeglüht, unzählige Lerchen sangen schwirrend in der klaren Luft.
Und so zogen die Glücklichen fröhlich durch die überglänzten Auen in das blühende Mailand hinunter.