Personen:

Meister Anton, ein Tischler.
Seine Frau.
Klara, seine Tochter.
Karl, sein Sohn.
Leonhard.
Ein Secretair.
Wolfram, ein Kaufmann.
Adam, ein Gerichtsdiener.
Ein zweiter Gerichtsdiener.
Ein Knabe.
Eine Magd.

Ort: eine mittlere Stadt.

Erster Akt.

Zimmer im Hause des Tischlermeisters.

Erste Scene.

Klara. Die Mutter.

Klara.
Dein Hochzeits-Kleid? Ei, wie es Dir steht! Es ist, als ob's zu heut gemacht wäre!

Mutter.
Ja, Kind, die Mode läuft so lange vorwärts, bis sie nicht weiter kann, und umkehren muß. Dies Kleid war schon zehn Mal aus der Mode, und kam immer wieder hinein.

Klara.
Diesmal doch nicht ganz, liebe Mutter! Die Aermel sind zu weit. Es muß Dich nicht verdrießen19!

Mutter. (lächelnd)
Dann müßt' ich Du seyn!

Klara.
So hast Du also ausgesehen! Aber einen Kranz trugst Du doch auch, nicht wahr?

Mutter.
Will's hoffen! Wozu hätt' ich sonst den Myrthenbaum20 jahrelang im Scherben gepflegt!

Klara.
Ich hab' Dich so oft gebeten, und Du hast es nie angezogen, Du sagtest immer: mein Brautkleid ist's nicht mehr, es ist nun mein Leichenkleid, und damit soll man nicht spielen. Ich mogt' es zuletzt gar nicht mehr sehen, weil es mich, wenn es so weiß da hing, immer an Deinen Tod und an den Tag erinnerte, wo die alten Weiber es Dir über den Kopf ziehen würden. - Warum denn heut?

Mutter.
Wenn man so schwer krank liegt, wie ich, und nicht weiß, ob man wieder gesund wird, da geht Einem gar Manches im Kopf herum. Der Tod ist schrecklicher als man glaubt, o, er ist bitter! Er verdüstert21 die Welt, er bläs't all' die Lichter, eins nach dem andern, aus, die so bunt und lustig um uns her schimmern, die freundlichen Augen des Mannes und der Kinder hören zu leuchten auf, und es wird finster allenthalben22, aber im Herzen zündet er ein Licht an, da wird's hell, und man sieht viel, sehr viel, was man nicht sehen mag. Ich bin mir eben nichts Böses bewußt, ich bin auf Gottes Wegen gegangen, ich habe im Hause geschafft, was ich konnte, ich habe Dich und Deinen Bruder in der Furcht des Herrn aufgezogen und den sauren Schweiß Eures Vaters zusammen gehalten, ich habe aber immer auch einen Pfenning für die Armen zu erübrigen23 gewußt, und wenn ich zuweilen Einen abwies, weil ich gerade verdrießlich24 war, oder weil zu Viele kamen, so war es kein Unglück für ihn, denn ich rief ihn gewiß wieder um und gab ihm doppelt. Ach, was ist das Alles. Man zittert doch vor der letzten Stunde, wenn sie herein droht, man krümmt sich, wie ein Wurm, man fleht zu Gott um's Leben, wie ein Diener den Herrn anfleht, die schlecht gemachte Arbeit noch einmal verrichten25 zu dürfen, um am Lohntag nicht zu kurz zu kommen.

Klara.
Hör' davon auf, liebe Mutter, Dich greift's an!

Mutter.
Nein, Kind, mir thut's wohl! Steh' ich denn nicht gesund und kräftig wieder da? Hat der Herr mich nicht bloß gerufen, damit ich erkennen mögte, daß mein Feierkleid noch nicht fleckenlos26 und rein ist, und hat er mich nicht an der Pforte des Grabes wieder umkehren lassen, und mir Frist gegeben, mich zu schmücken für die himmlische Hochzeit? So gnadenvoll27 war er gegen jene sieben Jungfrauen im Evangelium, das Du mir gestern Abend vorlesen mußtest, nicht! Darum habe ich heute, da ich zum heiligen Abendmahl28 gehe, dies Gewand angelegt. Ich trug es den Tag, wo ich die frömmsten und besten Vorsätze meines Lebens faßte. Es soll mich an die mahnen, die ich noch nicht gehalten habe!

Klara.
Du sprichst noch immer wie in Deiner Krankheit!

Zweite Scene.

Karl. (tritt auf)
Guten Morgen, Mutter! Nun, Klara, mögtest Du mich leiden, wenn ich nicht Dein Bruder wäre?

Klara.
Eine goldene Kette? Woher hast Du die?

Karl.
Wofür schwitz' ich? Warum arbeit' ich Abends zwei Stunden länger, als die Anderen? Du bist impertinent!

Mutter.
Zank29 am Sonntag-Morgen? Schäme Dich, Karl!

Karl.
Mutter, hast Du nicht einen Gulden30 für mich?

Mutter.
Ich habe kein Geld, als was zur Haushaltung gehört.

Karl.
Gieb nur immer davon her! Ich will nicht murren31, wenn Du die Eierkuchen vierzehn Tage lang etwas magerer bäckst. So hast Du's schon oft gemacht! Ich weiß das wohl! Als für Klaras weißes Kleid gespart wurde, da kam Monate lang nichts Leckeres auf den Tisch. Ich drückte die Augen zu, aber ich wußte recht gut, daß ein neuer Kopfputz, oder ein anderes Fahnenstück auf dem Wege war. Laß' mich denn auch ein mal davon profitiren!

Mutter.
Du bist unverschämt!

Karl.
Ich hab' nur keine Zeit, sonst - (er will gehen).

Mutter.
Wohin gehst Du?

Karl.
Ich will's Dir nicht sagen, dann kannst Du, wenn der alte Brummbär nach mir fragt, ohne roth zu werden, antworten, daß Du's nicht weißt. Uebrigens brauch' ich Deinen Gulden gar nicht, es ist das Beste, daß nicht alles Wasser aus Einem Brunnen geschöpft werden soll. (für sich) Hier im Hause glauben sie von mir ja doch immer das Schlimmste; wie sollt' es mich nicht freuen, sie in der Angst zu erhalten? Warum sollt' ich's sagen, daß ich, da ich den Gulden nicht bekomme, nun schon in die Kirche gehen muß, wenn mir nicht ein Bekannter aus der Verlegenheit hilft? (ab).

Dritte Scene.

Klara.
Was soll das heißen?

Mutter.
Ach, er macht mir Herzeleid32! Ja, ja, der Vater hat recht, das sind die Folgen! So allerliebst, wie er als kleiner Lockenkopf um das Stück Zucker bat, so trotzig fordert er jetzt den Gulden! Ob er den Gulden wirklich nicht fordern würde, wenn ich ihm das Stück Zucker abgeschlagen hätte? Das peinigt33 mich oft! Und ich glaube, er liebt mich nicht einmal. Hast Du ihn ein einziges Mal weinen sehen während meiner Krankheit?

Klara.
Ich sah ihn ja nur selten, fast nicht anders, als bei Tisch. Mehr Appetit hatte er, als ich!

Mutter. (schnell)
Das war natürlich, er mußte die schwere Arbeit verrichten!

Klara.
Freilich! Und wie die Männer sind! Die schämen sich ihrer Thränen mehr, als ihrer Sünden! Eine geballte Faust, warum die nicht zeigen, aber ein weinendes Auge? Auch der Vater! Schluchzte er nicht den Nachmittag, wo Dir zur Ader gelassen wurde, und kein Blut kommen wollte, an seiner Hobelbank'34, daß mir's durch die Seele ging! Aber als ich nun zu ihm trat, und ihm über die Backen strich, was sagte er? Versuch' doch, ob Du mir den verfluchten Span35 nicht aus dem Auge herausbringen kannst, man hat so viel zu thun und kommt nicht vom Fleck!

Mutter. (lächelnd)
Ja, ja! Ich sehe den Leonhard ja gar nicht mehr. Wie kommt das?

Klara.
Mag er weg bleiben!

Mutter.
Ich will nicht hoffen, daß Du ihn anderswo siehst als hier im Hause!

Klara.
Bleib' ich etwa zu lange weg, wenn ich Abends zum Brunnen gehe, daß Du Grund zum Verdacht hast?

Mutter.
Nein, das nicht! Aber nur darum hab' ich ihm Erlaubniß gegeben, daß er zu uns kommen darf, damit er Dir nicht bei Nebel und Nacht aufpassen soll. Das hat meine Mutter auch nicht gelitten!

Klara.
Ich seh ihn nicht!

Mutter.
Schmollt36 Ihr mit einander? Ich mag ihn sonst wohl leiden, er ist so gesetzt! Wenn er nur erst etwas wäre! Zu meiner Zeit hätt' er nicht lange warten dürfen, da rissen die Herren sich um einen geschickten Schreiber, wie die Lahmen um die Krücke, denn sie waren selten. Auch wir geringeren Leute konnten ihn brauchen. Heute setzte er dem Sohn einen Neujahrswunsch für den Vater auf, und erhielt allein für den vergoldeten Anfangsbuchstaben so viel, daß man einem Kinde eine Docke37 dafür hätte kaufen können. Morgen gab ihm der Vater einen Wink und ließ sich den Wunsch vorlesen, heimlich, bei verschlossenen Thüren, um nicht überrascht zu werden und die Unwissenheit38 aufgedeckt zu sehen. Das gab doppelte Bezahlung. Da waren die Schreiber oben auf und machten das Bier theuer. Jetzt ist's anders, jetzt müssen wir Alten, die wir uns nicht aufs Lesen und Schreiben verstehen, uns von neunjährigen Buben ausspotten lassen! Die Welt wird immer klüger, vielleicht kommt noch einmal die Zeit, wo Einer sich schämen muß, wenn er nicht auf dem Seil tanzen kann!

Klara.
Es läutet!

Mutter.
Nun, Kind, ich will für Dich beten! Und was Deinen Leonhard betrifft, so liebe ihn, wie er Gott liebt, nicht mehr, nicht weniger. So sprach meine alte Mutter zu mir, als sie aus der Welt ging, und mir den Segen39 gab, ich habe ihn lange genug behalten, hier hast Du ihn wieder!

Klara. (reicht ihr einen Strauß)
Da!

Mutter.
Der kommt gewiß40 von Karl!

Klara. (nickt; dann bei Seite)
Ich wollt', es wäre so! Was ihr eine rechte Freude machen soll, das muß von ihm kommen!

Mutter.
O, er ist gut und hat mich lieb! (ab)

Klara. (sieht ihr durch's Fenster nach)
Da geht sie! Drei Mal träumt' ich, sie läge im Sarg, und nun - o die boshaften Träume, sie kleiden sich in unsere Furcht, um uns're Hoffnung zu erschrecken! Ich will mich niemals wieder an einen Traum kehren41, ich will mich über einen guten nicht wieder freuen, damit ich mich über den bösen, der ihm folgt, nicht wieder zu ängstigen brauche! Wie sie fest und sicher ausschreitet! Schon ist sie dem Kirchhof42 nah - wer wohl der Erste ist, der ihr begegnet? Es soll Nichts bedeuten, nein, ich meine nur - (erschrocken zusammenfahrend) Der Todtengräber42! Er hat eben ein Grab gemacht und steigt daraus hervor, sie grüßt ihn und blickt lächelnd in die düstre43 Grube hinab, nun wirft sie den Blumenstrauß hinunter und tritt in die Kirche. (Man hört einen Choral) Sie singen: Nun danket Alle Gott! (sie faltet die Hände) Ja! Ja! Wenn meine Mutter gestorben wäre, nie wär' ich wieder ruhig geworden, denn - - (mit einem Blick gen Himmel) Aber Du bist gnädig, Du bist barmherzig44! Ich wollt', ich hätt' einen Glauben, wie die Katholischen, daß ich Dir Etwas schenken dürfte! Meine ganze Sparbüchse45 wollt' ich leeren, und Dir ein schönes vergoldetes Herz kaufen, und es mit Rosen umwinden46. Unser Pfarrer sagt, vor Dir seyen die Opfer Nichts, denn Alles sey Dein, und man müßte Dir das, was Du schon hast, nicht erst geben wollen! Aber Alles, was im Hause ist, gehört meinem Vater doch auch, und dennoch sieht er's gar gern, wenn ich ihm für sein eignes Geld ein Tuch kaufe, und es sauber sticke, und ihm zum Geburtstag auf den Teller lege. Ja, er thut mir die Ehre an und trägt's nur an den höchsten Feiertagen, zu Weihnacht oder zu Pfingsten! Einmal sah ich ein ganz kleines katholisches Mädchen, das seine Kirschen zum Altar trug. Wie gefiel mir das! Es waren die ersten im Jahr, die das Kind bekam, ich sah, wie es brannte, sie zu essen! Dennoch bekämpfte47 es seine unschuldige Begierde48, es warf sie, um nur der Versuchung49 ein Ende zu machen, rasch hin, der Meßpfaff50, der eben den Kelch erhob, schaute finster drein und das Kind eilte erschreckt von dannen, aber die Maria über dem Altar lächelte so mild, als wünschte sie aus ihrem Rahmen heraus zu treten, um dem Kind nachzueilen und es zu küssen. Ich that's für sie! Da kommt Leonhard! Ach!

Vierte Scene.

Leonhard. (Vor der Thür)
Angezogen?

Klara.
Warum so zart, so rücksichtsvoll51? Ich bin noch immer keine Prinzessin?

Leonhard. (tritt ein)
Ich glaubte, Du wärst nicht allein! Im Vorübergehen kam es mir vor, als ob Nachbar's Bärbchen am Fenster stände!

Klara.
Also darum!

Leonhard.
Du bist immer verdrießlich! Man kann vierzehn Tage weg geblieben seyn, Regen und Sonnenschein können sich am Himmel zehn Mal abgelös't haben, in Deinem Gesicht steht, wenn man endlich wieder kommt, immer noch die alte Wolke!

Klara.
Es gab andere Zeiten!

Leonhard.
Wahrhaftig! Hättest Du immer ausgesehen, wie jetzt, wir wären niemals gut Freund geworden!

Klara.
Was lag daran!

Leonhard.
So frei fühlst Du Dich von mir? Mir kann's recht seyn! Dann (mit Beziehung) hat Dein Zahnweh von neulich Nichts zu bedeuten gehabt!

Klara.
O Leonhard, es war nicht recht von Dir!

Leonhard.
Nicht recht, daß ich mein höchstes Gut, denn das bist Du, auch durch das letzte Band an mich fest zu knüpfen suchte? Und in dem Augenblick, wo ich in Gefahr stand, es zu verlieren? Meinst Du, ich sah die stillen Blicke nicht, die Du mit dem Secretair wechseltest? Das war ein schöner Freudentag für mich! Ich führe Dich zum Tanz, und -

Klara.
Du hörst nicht auf, mich zu kränken! Ich sah den Secretair an, warum sollt' ich's leugnen52? Aber nur wegen des Schnurrbarts53, den er sich auf der Academie hat wachsen lassen, und der ihm - (sie hält inne)

Leonhard.
So gut steht, nicht wahr? Das wolltest Du doch sagen? O ihr Weiber! Euch gefällt das Soldaten-Zeichen noch in der ärgsten Carricatur! Mir kam das kleine, lächerlich-runde Gesicht des Gecken54, ich bin erbittert auf ihn, ich verhehle es nicht, er hat mir lange genug bei Dir im Wege gestanden, mit dem Walde von Haaren, der es in der Mitte durchschneidet, wie ein weißes Kaninchen vor, das sich hinter den Busch verkriecht55.

Klara.
Ich habe ihn noch nicht gelobt56, Du brauchst ihn nicht herab zu setzen57.

Leonhard.
Du scheinst noch immer warmen Antheil an ihm zu nehmen!

Klara.
Wir haben als Kinder zusammen gespielt, und nachher - Du weißt recht gut!

Leonhard.
O ja, ich weiß! Aber eben darum!

Klara.
Da war es wohl natürlich, daß ich, nun ich ihn seit so langer Zeit zum ersten Mal wieder erblickte, ihn ansah, und mich verwunderte, wie groß und - (sie unterbricht sich)

Leonhard.
Warum wurdest Du denn roth, als er Dich wieder ansah?

Klara.
Ich glaubte, er sähe nach dem Wärzchen58 auf meiner linken Backe, ob das auch größer geworden sey! Du weißt, daß ich mir dies alle Mal einbilde, wenn mich jemand so starr betrachtet, und daß ich dann immer roth werde. Ist mir's doch, als ob die Warze wächs't, so lange Einer darnach kuckt59!

Leonhard.
Sey's wie es sey, mich überlief's, und ich dachte: noch diesen Abend stell' ich sie auf die Probe! Will sie mein Weib werden, so weiß sie, daß sie Nichts wagt. Sagt sie Nein, so -

Klara.
O, Du sprachst ein böses, böses Wort, als ich Dich zurück stieß und von der Bank aufsprang. Der Mond, der bisher zu meinem Beistand60 so fromm in die Laube hinein geschienen hatte, ertrank klüglich in den nassen Wolken, ich wollte forteilen, doch ich fühlte mich zurückgehalten, ich glaubte erst, Du wärst es, aber es war der Rosenbusch, der mein Kleid mit seinen Dornen, wie mit Zähnen, festhielt, Du lästertest61 mein Herz und ich traute ihm selbst nicht mehr, Du stand'st vor mir, wie Einer, der eine Schuld einfordert62, ich - ach Gott!

Leonhard.
Ich kann's noch nicht bereuen63. Ich weiß, daß ich Dich mir nur so erhalten konnte. Die alte Jugendliebe that die Augen wieder auf, ich konnte sie nicht schnell genug zudrücken.

Klara.
Als ich zu Hause kam, fand ich meine Mutter krank, todtkrank. Plötzlich dahin geworfen, wie von unsichtbarer Hand. Der Vater hatte nach mir schicken wollen, sie hatte es nicht zugegeben, um mich in meiner Freude nicht zu stören. Wie ward mir zu muth, als ich's hörte! Ich hielt mich fern, ich wagte nicht, sie zu berühren, ich zitterte. Sie nahm's für kindliche Besorgniß, und winkte mich zu sich heran, als ich mich langsam nahte, zog sie mich zu sich nieder und küßte meinen entweihten64 Mund. Ich verging, ich hätte ihr ein Geständniß65 thun, ich hätte ihr zuschreien mögen, was ich dachte und fühlte: meinetwegen liegst Du so da! Ich that's, aber Thränen und Schluchzen erstickten die Worte, sie griff nach der Hand meines Vaters und sprach mit einem seligen Blick auf mich: welch ein Gemüth!

Leonhard.
Sie ist wieder gesund. Ich kam, ihr meinen Glückwunsch abzustatten, und - was meinst Du?

Klara.
Und?

Leonhard.
Bei Deinem Vater um Dich anzuhalten66!

Klara.
Ach!

Leonhard.
Ist Dir's nicht recht?

Klara.
Nicht recht? Mein Tod wär's, wenn ich nicht bald Dein Weib würde, aber Du kennst meinen Vater nicht! Er weiß nicht, warum wir Eile haben, er kann's nicht wissen, und wir können's ihm nicht sagen, und er hat hundert Mal erklärt, daß er seine Tochter nur dem giebt, der, wie er es nennt, nicht bloß Liebe im Herzen, sondern auch Brot im Schrank für sie hat. Er wird sprechen: wart noch ein Jahr, mein Sohn, oder zwei, und was willst Du antworten?

Leonhard.
Närrin, der Punkt ist ja gerade beseitigt! Ich habe die Stelle, ich bin Cassirer!

Klara.
Du bist Cassirer? Und der andere Candidat, der Neffe vom Pastor?

Leonhard.
War betrunken, als er zum Examen kam, verbeugte sich gegen den Ofen, statt gegen den Bürgermeister, und stieß, als er sich niedersetzte, drei Tassen vom Tisch. Du weißt, wie hitzig der Alte ist, Herr! fuhr er auf, doch noch bekämpfte er sich und biß sich auf die Lippen, aber seine Augen blitzten durch die Brille, wie ein Paar Schlangen, die springen wollen, und jede seiner Mienen spannte sich. Nun ging's an's Rechnen, und, ha! ha! mein Mitbewerber rechnete nach einem selbsterfundenen Ein mal Eins, das ganz neue Resultate lieferte; der verrechnet sich! sprach der Bürgermeister, und reichte mir mit einem Blick , in dem schon die Bestallung67 lag, die Hand, die ich obgleich sie nach Taback roch, demüthig an die Lippen führte, hier ist sie selbst, unterschrieben und besiegelt!

Klara.
Das kommt -

Leonhard.
Unerwartet, nicht wahr? Nun, es kommt auch nicht so ganz von ungefähr68. Warum ließ ich mich vierzehn Tage lang bei Euch nicht sehen?

Klara.
Was weiß ich? Ich denke, weil wir uns den letzten Sonntag erzürnten!

Leonhard.
Den kleinen Zwist führte ich selbst listig herbei, damit ich wegbleiben könnte, ohne daß es zu sehr auffiele.

Klara.
Ich versteh' Dich nicht!

Leonhard.
Glaub's. Die Zeit benutzt' ich dazu, der kleinen buckligten69 Nichte des Bürgermeisters, die so viel bei dem Alten gilt, die seine rechte Hand ist, wie der Gerichtsdiener die linke, den Hof zu machen. Versteh' mich recht! Ich sagte ihr selbst nichts Angenehmes, ausgenommen ein Compliment über ihre Haare, die bekanntlich roth sind, ich sagte ihr nur Einiges, daß ihr wohl gefiel, über Dich!

Klara.
Ueber mich?

Leonhard.
Warum sollt' ich's verschweigen? Geschah es doch in der besten Absicht! Als ob es mir nie im Ernst um Dich zu thun gewesen wäre, als ob - Genug! Das dauerte so lange, bis ich dies in Händen hatte, und wie's gemeint war, wird die leichtgläubige70, mannstolle71 Thörin72 erfahren, sobald sie uns in der Kirche aufbieten hört!

Klara.
Leonhard!

Leonhard.
Kind! Kind! Sey Du ohne Falsch, wie die Taube, ich will klug, wie die Schlange seyn, dann genügen wir, da Mann und Weib doch nur Eins sind, dem Evangelienspruch vollkommen. (lacht) Es kam auch nicht ganz von selbst, daß der junge Herrmann in dem wichtigsten Augenblick seines Lebens betrunken war. Du hast gewiß nicht gehört, daß der Mensch sich auf's Trinken verlegt!

Klara.
Kein Wort.

Leonhard.
Um so leichter glückte mein Plan. Mit drei Gläsern war's gethan. Ein Paar Kameraden von mir mußten ihm auf den Leib rücken. »Darf man gratulieren?73« Noch nicht! »O, das ist ja abgemacht! Dein Onkel -« Und nun: trink', mein Brüderlein, trink! Als ich heute Morgen zu Dir ging, stand er am Fluß, und kukte, über's Brückengeländer sich lehnend, schwermüthig74 hinein. Ich grüßte ihn spöttisch und fragte, ob ihm etwas in's Wasser gefallen sey. »Ja wohl - sagte er, ohne aufzusehen - und es ist vielleicht gut, wenn ich selbst nachspringe.«

Klara.
Unwürdiger! Mir aus den Augen!

Leonhard.
Ja? (macht, als wollt' er gehen)

Klara.
O mein Gott, an diesen Menschen bin ich gekettet!

Leonhard.
Sey kein Kind! Und nun noch ein Wort im Vertrauen. Hat Dein Vater die tausend Thaler noch immer in der Apotheke stehen?

Klara.
Ich weiß Nichts davon.

Leonhard.
Nichts über einen so wichtigen Punct?

Klara.
Da kommt mein Vater.

Leonhard.
Versteh' mich! Der Apotheker soll nah am Concurs seyn, darum fragt' ich!

Klara.
Ich muß in die Küche! (ab)

Leonhard. (allein)
Nun müßte hier Nichts zu holen seyn! Ich kann es mir zwar nicht denken, denn der Meister Anton ist der Art, daß er, wenn man ihm aus Versehen auch nur einen Buchstaben zu viel auf den Grabstein setzte, gewiß als Geist so lange umginge, bis er wieder ausgekratzt75 wäre, denn er würde es für unredlich halten, sich mehr vom Alphabet anzueignen76, als ihm zukäme!

Fünfte Scene.

Der Vater, Meister Anton (tritt ein).
Guten Morgen, Herr Cassirer! (er nimmt seinen Hut ab und setzt eine wollene Mütze auf) Ist's einem alten Manne erlaubt, sein Haupt zu bedecken?

Leonhard.
Er weiß also -

Meister Anton.
Schon gestern Abend. Ich hörte, als ich in der Dämmerung zum todten Müller ging, um dem Mann das Maaß zur letzten Behausung77 zu nehmen, ein Paar von Seinen guten Freunden auf Ihn schimpfen. Da dachte ich gleich: der Leonhard hat gewiß den Hals nicht gebrochen. Im Sterbehause78 hörte ich das Nähere vom Küster79, der eben vor mir gekommen war, um die Wittwe zu trösten und nebenbei sich selbst zu betrinken.

Leonhard.
Und Klara mußte es erst von mir erfahren?

Meister Anton.
Wenn es Ihn nicht trieb, der Dirne die Freude zu machen, wie sollt' es mich treiben? Ich stecke in meinem Hause keine Kerzen an, als die mir selbst gehören. Dann weiß ich, daß Niemand kommen kann, der sie wieder ausbläs't, wenn wir eben uns're beste Lust daran haben!

Leonhard.
Er konnte doch von mir nicht denken -

Meister Anton.
Denken? Ueber Ihn? Ueber irgend Einen? Ich hoble mir die Bretter wohl zurecht mit meinem Eisen, aber nie die Menschen mit meinen Gedanken. Ueber die Torheit80 bin ich längst hinaus. Wenn ich einen Baum grünen sehe, so denk' ich wohl: nun wird er bald blühen! Und wenn er blüht: nun wird er Früchte bringen! Darin sehe ich mich auch nicht getäuscht, darum geb' ich die alte Gewohnheit nicht auf. Aber über Menschen denke ich Nichts, gar Nichts, nichts Schlimmes, nichts Gutes, dann brauch' ich nicht abwechselnd, wenn sie bald meine Furcht, bald meine Hoffnung täuschen, roth oder blaß zu werden. Ich mache bloß Erfahrungen über sie, und nehme mir ein Beispiel an meinen beiden Augen, die auch nicht denken, sondern nur sehen. Ueber Ihn glaubte ich schon eine ganze Erfahrung gemacht zu haben, nun finde ich Ihn hier, und muß bekennen, daß es doch nur eine halbe gewesen ist!

Leonhard.
Meister Anton, Er macht es ganz verkehrt. Der Baum hängt von Wind und Wetter ab, der Mensch hat in sich Gesetz und Regel!

Meister Anton.
Meint Er? Ja, wir Alten sind dem Tod vielen Dank schuldig, daß er uns noch so lange unter Euch Jungen herum laufen läßt, und uns Gelegenheit giebt, uns zu bilden. Früher glaubte die dumme Welt, der Vater sey dazu da, um den Sohn zu erziehen. Umgekehrt, der Sohn soll dem Vater die letzte Politur81 geben, damit der arme einfältige Mann sich im Grabe nicht vor den Würmern zu schämen braucht. Gott Lob, ich habe in meinem Karl einen braven Lehrer, der rücksichtslos82 und ohne das alte Kind durch Nachsicht zu verzarteln83, gegen meine Vorurteile84 zu Felde zieht. So hat er mir noch heute Morgen zwei neue Lehren gegeben, und auf die geschickteste Weise, ohne auch nur den Mund aufzuthun, ohne sich bei mir sehen zu lassen, ja, eben dadurch. Erstlich hat er mir gezeigt, daß man sein Wort nicht zu halten braucht, zweitens, daß es überflüssig85 ist, in die Kirche zu gehen, und Gottes Gebote in sich aufzufrischen86. Gestern Abend versprach er mir, es zu thun, und ich verließ mich darauf, daß er kommen würde, denn ich dachte: er wird dem gütigen Schöpfer doch für die Wiederherstellung seiner Mutter danken wollen. Aber er war nicht da, ich hatte es in meinem Stuhl, der freilich für zwei Personen ein wenig eng ist, ganz bequem. Ob es ihm wohl ganz recht wäre, wenn ich mir die neue Lehre gleich zu eigen machte, und ihm auch mein Wort nicht hielte? Ich habe ihm zu seinem Geburtstag einen neuen Anzug versprochen, und hätte also Gelegenheit, seine Freude über meine Gelehrigkeit zu prüfen. Aber das Vorurtheil, das Vorurtheil! Ich werde es nicht thun!

Leonhard.
Vielleicht war er unwohl -

Meister Anton.
Möglich, ich brauche meine Frau nur zu fragen, dann hör' ich ganz gewiß, daß er krank ist. Denn über Alles in der Welt sagt sie nur die Wahrheit, nur nicht über den Jungen. Und wenn auch nicht krank - auch das hat die junge Welt vor uns Alten voraus, daß sie allenthalben ihre Erbauung findet, daß sie bei'm Vogelfangen, bei'm Spatzierengehen, ja im Wirthshaus ihre Andacht87 halten kam. »Vater unser, der Du bist im Himmel!« - Guten Tag, Peter, sieht man Dich bei'm Abendtanz? - »Geheiliget werde Dein Name!« - Ja, lach' nur, Kathrine, es findet sich! - »Dein Wille geschehe!« - Hol' mich der Teufel, ich bin noch nicht rasirt! Und so zu Ende, und den Segen giebt man sich selbst, denn man ist ja ein Mensch, so gut, wie der Prediger, und die Kraft, die vom schwarzen Rock88 ausgeht, steckt gewiß auch im blauen89. Ich habe auch Nichts dagegen, und wollt Ihr sogar zwischen die sieben Bitten sieben Gläser einschalten, was thut's, ich kann's Keinem beweisen, daß Bier und Religion sich nicht mit einander vertragen, und vielleicht kommt's noch einmal als eine neue Art, das Abendmahl zu nehmen, in die Liturgie. Ich alter Sünder freilich, ich bin nicht stark genug, um die Mode mitzumachen, ich kann die Andacht nicht, wie einen Maikäfer90, auf der Straße einfangen, bei mir kann das Gezwitscher91 der Spatzen und Schwalben92 die Stelle der Orgel nicht vertreten, wenn ich mein Herz erhoben fühlen soll, so muß ich erst die schweren eisernen Kirchthüren hinter mir zuschlagen hören, und mir einbilden, es seyen die Thore der Welt gewesen, die düstern hohen Mauern mit den schmalen Fenstern, die das helle freche Welt-Licht nur verdunkelt durchlassen, als ob sie es sichteten, müßten sich um mich zusammen drängen, und in der Ferne muß ich das Beinhaus93 mit dem eingemauerten Todtenkopf sehen können. Nun - besser ist besser!

Leonhard.
Er nimmt's auch zu genau.

Meister Anton.
Gewiß! Ganz gewiß! Und heute, als ehrlicher Mann muß ich's gestehen, trifft's nicht einmal zu, in der Kirche verlor ich die Andacht, denn der offene Platz neben mir, verdroß mich, und draußen, unter dem Birnbaum in meinem Garten, fand ich sie wieder. Er wundert sich? Sieh Er, ich ging betrübt und niedergeschlagen zu Hause, wie Einer, dem die Ernte verhagelt ist, denn Kinder sind wie Aecker, man sä't sein gutes Korn hinein, und dann geht Unkraut auf. Unter dem Birnbaum, den die Raupen94 abgefressen haben, stand ich still. »Ja - dacht' ich - der Junge ist, wie dieser da, leer und kahl95!« Da kam es mir auf einmal vor, als ob ich sehr durstig wäre, und durchaus in's Wirthshaus müßte. Ich betrog mich selbst, mir war nicht um ein Glas Bier zu thun, nur darum, den Burschen aufzusuchen und auszuschmälen96, im Wirthshaus, das wußte ich, hätte ich ihn ganz gewiß gefunden. Eben wollt' ich gehen, da ließ der alte, vernünftige Baum eine saftige Birne zu meinen Füßen niederfallen, als wollt' er sagen: die ist für den Durst, und weil du mich durch den Vergleich mit deinem Schlingel verschimpfiert97 hast! Ich besann mich98, biß hinein und ging in's Haus.

Leonhard.
Weiß Er, daß der Apotheker nah am Concurs ist?

Meister Anton.
Was kümmert's mich!

Leonhard.
So gar Nichts?

Meister Anton.
Doch! Ich bin ein Christ. Der Mann hat viele Kinder!

Leonhard.
Und noch mehr Gläubiger99. Auch die Kinder sind eine Art von Gläubigern.

Meister Anton.
Wohl dem, der Keins von Beiden ist!

Leonhard.
Ich glaubte, Er selbst -

Meister Anton.
Das ist längst abgemacht.

Leonhard.
Er ist ein vorsichtiger Mann. Er hat sein Geld gewiß gleich eingefordert, als er sah, daß es mit dem Kräuterhändler rückwärts ging!

Meister Anton.
Ja, ich brauche nicht mehr zu zittern, daß ich es verliere, denn ich habe es längst verloren.

Leonhard.
Spaß!

Meister Anton.
Ernst!

Klara. (sieht in die Thür)
Rief Er, Vater?

Meister Anton.
Klingen Dir schon die Ohren? Von Dir war die Rede noch nicht!

Klara.
Das Wochenblatt100! (ab.)

Leonhard.
Er ist ein Philosoph!

Meister Anton.
Was heißt das?

Leonhard.
Er weiß Sich zu fassen!

Meister Anton.
Ich trage einen Mühlstein101 wohl zuweilen als Halskrause102, statt damit in's Wasser zu gehen - das giebt einen steifen Rücken!

Leonhard.
Wer's kann, macht's nach!

Meister Anton.
Wer einen so wackern Mitträger findet, als ich in Ihm zu finden scheine, der muß unter der Last sogar tanzen können. Er ist ja ordentlich blaß geworden! Das nenn' ich Theilnahme!

Leonhard.
Er wird mich nicht verkennen103!

Meister Anton.
Gewiß nicht! (er trommelt auf einer Commode) Daß das Holz nicht durchsichtig104 ist, wie?

Leonhard.
Ich versteh' Ihn nicht!

Meister Anton.
Wie einfältig war unser Großvater Adam, daß er die Eva nahm, ob sie gleich nackt und bloß war, und nicht einmal das Feigenblatt105 mitbrachte. Wir Beide, Er und ich, hätten sie als Landstreicherin106 aus dem Paradies herausgepeitscht! Was meint Er?

Leonhard.
Er ist ärgerlich auf Seinen Sohn. Ich kam, Ihn um Seine Tochter -

Meister Anton.
Halt' Er ein! Vielleicht sag' ich nicht Nein!

Leonhard.
Das hoff' ich! Und ich will Ihm meine Meinung sagen! Sogar die heiligen Erzväter107 verschmähten nicht den Mahlschatz108 ihrer Weiber, Jacob liebte die Rahel und warb sieben Jahre um sie, aber er freute sich auch über die fetten Widder und Schaafe, die er in ihres Vaters Dienst gewann. Ich denke, es gereicht ihm nicht zur Schande, und ihn übertreffen, heißt ihn roth machen. Ich hätte es gern gesehen, wenn Seine Tochter mir ein Paar hundert Thaler zugebracht hätte, und das war natürlich, denn um so besser würde sie selbst es bei mir gehabt haben, wenn ein Mädchen das Bett im Koffer mitbringt, so braucht sie nicht erst Wolle zu kratzen und Garn zu spinnen. Es ist nicht der Fall - was thut's? Wir machen aus der Fastenspeise109 unser Sonntags-Essen, und aus dem Sonntags-Braten unsern Weihnachts-Schmaus! So geht's auch!

Meister Anton. (reicht ihm die Hand)
Er spricht brav, und unser Herr Gott nickt zu seinen Worten, nun - ich will's vergessen, daß meine Tochter vierzehn Tage lang des Abends vergeblich bei'm Theetrinken eine Tasse für Ihn auf den Tisch gestellt hat. Und nun er mein Schwiegersohn wird, will ich Ihm auch sagen, wo die tausend Thaler geblieben sind!

Leonhard. (bei Seite)
Also doch weg! Nun, so brauch' ich mir von dem alten Wärwolf auch Nichts gefallen zu lassen, wenn er mein Schwiegervater ist!

Meister Anton.
Mir ging's in jungen Jahren schlecht. Ich bin so wenig, wie Er, als ein borstiger Igel110 zur Welt gekommen, aber ich bin nach und nach einer geworden. Erst waren all die Stacheln111 bei mir nach innen gerichtet, da kniffen und drückten sie Alle zu ihrem Spaß auf meiner nachgiebigen glatten Haut herum, und freuten sich, wenn ich zusammen fuhr, weil die Spitzen mir in Herz und Eingeweide112 drangen. Aber das Ding gefiel mir nicht, ich kehrte meine Haut um, nun fuhren ihnen die Borsten in die Finger und ich hatte Frieden.

Leonhard. (für sich)
Vor dem Teufel selbst, glaub' ich!

Meister Anton.
Mein Vater arbeitete sich, weil er sich Tag und Nacht keine Ruhe gönnte, schon in seinem dreizigsten Jahre zu Tode, meine arme Mutter ernährte mich mit Spinnen113, so gut es ging, ich wuchs auf, ohne etwas zu lernen, ich hätte mir, als ich größer wurde, und doch noch immer Nichts verdienen konnte, wenigstens gern das Essen abgewöhnt, aber wenn ich mich auch des Mittags zuweilen krank stellte und den Teller zurückschob, was wollte es bedeuten? am Abend zwang mich der Magen, mich wieder für gesund zu erklären. Meine größte Pein war, daß ich so ungeschickt114 blieb, ich konnte darüber mit mir selbst hadern, als ob's meine eigene Schuld wäre, als ob ich mich in Mutterleibe nur mit Freßzähnen versehen115, und alle nützliche Eigenschaften und Fertigkeiten, wie absichtlich, dann zurückgelassen hätte, ich konnte roth werden, wenn mich die Sonne beschien. Gleich nach meiner Confirmation trat der Mann, den sie gestern begraben haben, der Meister Gebhard, zu uns in die Stube. Er runzelte die Stirn und verzog das Gesicht, wie er immer that, wenn er etwas Gutes beabsichtigte, dann sagte er zu meiner Mutter: hat Sie Ihren Jungen in die Welt gesetzt, daß er Ihr Nase und Ohren vom Kopf fressen soll? Ich schämte mich, und legte das Brot, von dem ich mir gerade ein Stück abschneiden wollte, schnell wieder in den Schrank, meine Mutter ärgerte sich über das wohlgemeinte Wort, sie hielt ihr Rad an und versetzte hitzig116, ihr Sohn sey brav und gut. Nun, das wollen wir sehen, sagte der Meister, wenn er Lust hat, kann er gleich, wie er da steht, mit mir in die Werkstatt gehen, Lehrgeld verlang' ich nicht, die Kost bekommt er, für Kleider will ich auch sorgen, und wenn er früh aufstehen und spät zu Bette gehen will, so soll's ihm an Gelegenheit, hin und wieder ein gutes Trinkgeld für seine alte Mutter zu verdienen, nicht fehlen. Meine Mutter fing zu weinen an, ich zu tanzen, als wir endlich zu Wort kamen, hielt der Meister sich die Ohren zu, schritt hinaus und winkte mir. Den Hut braucht' ich nicht aufzusetzen, denn ich hatte keinen, ohne der Mutter auch nur Adjes zu sagen, folgt' ich ihm, und als ich am nächsten Sonntag zum ersten Mal auf ein Stündchen zu ihr zurück durfte, gab er mir einen halben Schinken für sie mit. Gottes Segen in des braven Mannes Gruft117! Noch hör' ich sein halbzorniges: Tonerl, unter die Jacke damit, daß meine Frau es nicht sieht!

Leonhard.
Kann Er auch weinen?

Meister Anton. (trocknet sich die Augen)
Ja, daran darf ich nicht denken, so gut der Thränenbrunnen auch in mir verstopft ist, das giebt jedes Mal wieder einen Riß. Nun, auch gut; wenn ich einmal wassersüchtig werde, so brauche ich mir wenigstens diese Tropfen nicht mit abzapfen118 zu lassen. (mit einer plötzlichen Wendung) Was meint Er? Wenn Er den Mann, dem Er Alles verdankte, einmal an einem Sonntag-Nachmittag auf eine Pfeife Taback besuchen wollte, und Er träfe ihn verwirrt und verstört, ein Messer in der Hand, dasselbe Messer, womit er ihm tausendmal sein Vesperbrot abgeschnitten, blutig am Halse, und das Tuch ängstlich bis an's Kinn hinaufziehend - -

Leonhard.
So ging der alte Gebhard bis an sein Ende!

Meister Anton.
Der Narbe wegen. Und Er käme noch eben zur rechten Zeit, Er könnte retten und helfen, aber nicht bloß dadurch, daß Er ihn das Messer aus der Hand risse und die Wunde verbände, sondern Er müßte auch lumpige tausend Thaler, die Er erspart hätte, hergeben, und das müßte sogar, um den kranken Mann nur zur Annahme zu bewegen, ganz in der Stille geschehen, was würde Er thun?

Leonhard.
Ledig und los, wie ich bin, ohne Weib und Kind, würde ich das Geld opfern.

Meister Anton.
Und wenn Er zehn Weiber hätte, wie die Türken, und so viel Kinder, als dem Vater Abraham versprochen waren, und Er könnte Sich auch nur einen Augenblick bedenken, so wär' Er - nun, Er wird mein Schwiegersohn! Jetzt weiß Er, wo das Geld geblieben ist, heute konnt' ich es ihm sagen, denn mein alter Meister ist begraben, vor einem Monat hätt' ich's noch auf dem Sterbebett bei mir behalten. Die Verschreibung hab' ich dem Todten, bevor sie den Sarg zunagelten, unter den Kopf geschoben, wenn ich schreiben könnte, hätt' ich vorher ein: Ehrlich bezahlt! darunter gesetzt, unwissend, wie ich bin, blieb mir Nichts übrig, als der Länge nach einen Riß in's Papier zu machen. Nun wird er ruhig schlafen, und ich hoffe, ich auch, wenn ich mich einst neben ihn hinstrecke.

Sechste Scene.

Die Mutter. (tritt schnell ein)
Kennst mich noch?

Meister Anton. (auf das Hochzeitskleid deutend)
Den Rahmen, ja wohl, der hat sich gehalten, das Bild nicht recht. Es scheint sich viel Spinnweb119 darauf gesetzt zu haben, nun, die Zeit war lang genug dazu!

Mutter.
Hab' ich nicht einen aufrichtigen120 Mann? Doch, ich brauch' ihn nicht apart zu loben, Aufrichtigkeit ist die Tugend der Ehemänner.

Meister Anton.
Thut's Dir leid, daß Du mit 20 Jahren besser vergoldet warst, als mit 50?

Mutter.
Gewiß nicht! Wär's anders, so müßt' ich mich ja für Dich und mich schämen!

Meister Anton.
So giebst Du mir einen Kuß! Ich bin rasirt, und besser, wie gewöhnlich!

Mutter.
Ich sage ja, bloß um zu prüfen, ob Du Dich noch auf die Kunst verstehst. Das fiel Dir lange nicht mehr ein!

Meister Anton.
Gute Hausmutter! Ich will nicht verlangen, daß Du mir die Augen zudrücken sollst, es ist ein schweres Stück, ich will's für Dich übernehmen, ich will Dir den letzten Liebesdienst121 erweisen, aber Zeit mußt Du mir lassen, hörst Du, daß ich mich stähle und vorbereite, und nicht als Stümper122 bestehe. Noch war's viel zu früh!

Mutter.
Gott sey Dank, wir bleiben noch eine Weile beisammen.

Meister Anton.
Ich hoff's auch, Du hast ja ordentlich wieder rothe Backen!

Mutter.
Ein possirlicher Mensch, unser neue Todtengräber. Er machte ein Grab, als ich heute Morgen über den Kirchhof ging, ich fragte ihn, für wen es sey. »Für wen Gott will, sagte er, vielleicht für mich selbst, es kann mir gehen, wie meinem Großvater, der auch mal eins auf den Vorrath gemacht hatte, und in der Nacht, als er aus dem Wirthshaus zu Hause kam, hinein fiel und sich den Hals brach.«

Leonhard. (der bisher im Wochenblatt gelesen hat)
Der Kerl ist nicht von hier, er kann uns vorlügen, was ihm gefällt!

Mutter.
Ich fragte ihn, warum wartet Er denn nicht, bis man die Gräber bei Ihm bestellt? Ich bin heute auf eine Hochzeit gebeten, sprach er, und da bin ich Prophet genug, um zu wissen, daß ich's morgen noch im Kopf spüren werde. Nun hat mir aber gewiß jemand den Tort123 angethan und ist gestorben. Da müßt' ich morgen bei Zeiten heraus und könnte nicht ausschlafen.

Meister Anton.
Hanswurst124, hätt' ich gesagt, wenn das Grab nun nicht paßt?

Mutter.
Ich sagte es auch, aber der schüttelt die spitzen Antworten aus dem Aermel, wie der Teufel die Flöhe. Ich habe das Maaß nach dem Weber Veit genommen, sagte er, der ragt, wie König Saul, um einen Kopf über uns Alle hinaus, nun mag kommen, wer will, er wird sein Haus nicht zu klein finden, und wenn's zu groß ist, so schadet's Keinem, als mir, denn als ehrlicher Mann laß ich mir keinen Fuß über die Sarglänge125 bezahlen. Ich warf meine Blumen hinein und sprach: nun ist's besetzt!

Meister Anton.
Ich denke, der Kerl hat bloß gespaßt, und das ist schon sündlich genug. Gräber im Voraus machen, hieße vorwitzig die Falle des Todes aufstellen; den Halunken126, der es thäte, sollte man vom Dienst jagen. (zu dem lesenden Leonhard) Was Neues? Sucht ein Menschenfreund eine arme Witwe127, die ein Paar hundert Thaler brauchen kann? Oder umgekehrt die arme Witwe den Menschenfreund, der sie geben will?

Leonhard.
Die Polizei macht einen Juwelendiebstahl128 bekannt. Wunderbar genug. Man sieht daraus, daß trotz der schlechten Zeiten noch immer Leute unter uns leben, die Juwelen besitzen.

Meister Anton.
Ein Juwelendiebstahl? Bei wem?

Leonhard.
Bei'm Kaufmann Wolfram!

Meister Anton.
Bei - Unmöglich! Da hat mein Karl vor ein Paar Tagen einen Secretair polirt!

Leonhard.
Aus dem Secretair verschwunden, richtig!

Mutter. (zu Meister Anton)
Vergebe Dir Gott dies Wort!

Meister Anton.
Du hast recht, es war ein nichtswürdiger Gedanke!

Mutter.
Gegen Deinen Sohn, das muß ich Dir sagen, bist Du nur ein halber Vater.

Meister Anton.
Frau, wir wollen heute nicht darüber sprechen!

Mutter.
Er ist anders, als Du, muß er darum gleich schlecht seyn?

Meister Anton.
Wo bleibt er denn jetzt? Die Mittagsglocke hat längst geschlagen, ich wette, daß das Essen draußen verkocht und verbrät, weil Klara heimliche Ordre hat, den Tisch nicht zu decken, bevor er da ist.

Mutter.
Wo sollt' er bleiben? Höchstens wird er Kegel schieben129, und da muß er ja die entfernteste Bahn aufsuchen, damit Du ihn nicht entdeckst. Dann ist der Rückweg natürlich lang. Ich weiß auch nicht, was Du gegen das unschuldige Spiel hast.

Meister Anton.
Gegen das Spiel? Gar Nichts! Vornehme Herren müssen einen Zeitvertreib haben. Ohne den Karten-König hätte der wahre König gewiß oft Langeweile, und wenn die Kegel nicht erfunden wären, wer weiß, ob Fürsten und Barone nicht mit unsern Köpfen bosseln130 würden! Aber ein Handwerksmann kann nicht ärger freveln131, als wenn er seinen sauer verdienten Lohn auf's Spiel setzt. Der Mensch muß, was er mit schwerer Mühe im Schweiß seines Angesichts erwirbt, ehren, es hoch und werth halten, wenn er nicht an sich selbst irre werden, wenn er nicht sein ganzes Thun und Treiben verächtlich finden soll. Wie können sich alle meine Nerven spannen für den Thaler, den ich wegwerfen will.

(Man hört draußen die Thürklingel.)

Mutter.
Da ist er.

Siebente Scene.

Gerichtsdiener Adam und noch ein Gerichtsdiener (treten ein).

Adam. (Zu Meister Anton)
Nun geh' Er nur hin und bezahl' Er Seine Wette! Leute im rothen Rock mit blauen Aufschlägen (dies betont er stark) sollten Ihm nie in's Haus kommen? Hier sind wir uns'rer Zwei! (zum zweiten Gerichtsdiener) Warum behält Er Seinen Hut nicht auf, wie ich? Wer wird Umstände132 machen, wenn er bei seines Gleichen ist?

Meister Anton.
Bei Deines Gleichen, Schuft133?

Adam.
Er hat recht, wir sind nicht bei unsers Gleichen, Schelme und Diebe sind nicht unsers Gleichen! (er zeigt auf die Kommode) Aufgeschlossen! Und dann drei Schritt davon! Daß er nichts herauspractisirt!

Meister Anton.
Was? Was?

Klara. (Tritt mit Tischzeug ein)
Soll ich - (sie verstummt.)

Adam. (zeigt ein Papier)
Kann Er geschriebene Schrift lesen?

Meister Anton.
Soll ich können, was nicht einmal mein Schulmeister konnte?

Adam.
So hör' Er! Sein Sohn hat Juwelen gestohlen. Den Dieb haben wir schon. Nun wollen wir Haussuchung halten!

Mutter.
Jesus! (fällt um und stirbt).

Klara.
Mutter! Mutter! Was sie für Augen macht!

Leonhard.
Ich will einen Arzt holen!

Meister Anton.
Nicht nöthig! Das ist das letzte Gesicht! Sah's hundert Mal. Gute Nacht, Therese! Du starbst, als Du's hörtest! Das soll man Dir auf's Grab setzen!

Leonhard.
Es ist doch vielleicht - - (abgehend) Schrecklich! Aber gut für mich! (ab).

Meister Anton. (Zieht ein Schlüsselbund hervor und wirft es von sich)
Da! Schließt auf! Kasten nach Kasten! Ein Beil134 her! Der Schlüssel zum Koffer ist verloren! Hei, Schelmen und Diebe! (er kehrt sich die Taschen um) Hier find' ich Nichts!

Zweiter Gerichtsdiener.
Meister Anton, faß Er Sich! Jeder weiß, daß Er der ehrlichste Mann in der Stadt ist.

Meister Anton.
So? So? (lacht) Ja ich hab' die Ehrlichkeit in der Familie allein verbraucht! Der arme Junge! Es blieb Nichts für ihn übrig! Die da - (er zeigt auf die Todte) war auch viel zu sittsam135! Wer weiß, ob die Tochter nicht - (plötzlich zu Klara) Was meinst Du, mein unschuldiges Kind?

Klara.
Vater!

Zweiter Gerichtsdiener. (Zu Adam)
Fühlt Er kein Mitleid?

Adam.
Kein Mitleid? Wühl' ich dem alten Kerl in den Taschen? Zwing' ich ihn, die Strümpfe auszuziehen und die Stiefel umzukehren? Damit wollt' ich anfangen, denn ich hasse ihn, wie ich nur hassen kann, seit er im Wirthshaus sein Glas - Er kennt die Geschichte, und Er müßte Sich auch beleidigt136 fühlen, wenn Er Ehre im Leibe hätte. (zu Klara) Wo ist die Kammer des Bruders?

Klara. (zeigt sie)
Hinten!

Beide Gerichtsdiener. (ab)

Klara.
Vater, er ist unschuldig! Er muß unschuldig sein! Er ist ja Dein Sohn, er ist ja mein Bruder!

Meister Anton.
Unschuldig, und ein Muttermörder? (lacht)

Eine Magd. (tritt ein mit einem Brief zu Klara)
Von Herrn Cassirer Leonhard! (ab)

Meister Anton.
Du brauchst ihn nicht zu lesen! Er sagt sich von Dir los! (schlägt in die Hände) Bravo, Lump137!

Klara. (hat gelesen)
Ja! Ja! O mein Gott!

Meister Anton.
Laß' ihn!

Klara.
Vater, Vater, ich kann nicht!

Meister Anton.
Kannst nicht? Kannst nicht? Was ist das? Bist du -

Beide Gerichtsdiener. (kommen zurück)

Adam. (hämisch)
Suchet, so werdet ihr finden!

Zweiter Gerichtsdiener. (zu Adam)
Was fällt ihm ein? Traf's denn heute zu?

Adam.
Halt Er's Maul! (Beide ab)

Meister Anton.
Er ist unschuldig, und Du - Du -

Klara.
Vater, Er ist schrecklich!

Meister Anton. (faßt sie bei der Hand, sehr sanft)
Liebe Tochter, der Karl ist doch nur ein Stümper, er hat die Mutter umgebracht, was will's heißen? Der Vater blieb am Leben! Komm ihm zu Hülfe, Du kannst nicht verlangen, daß er Alles allein thun soll, gieb Du mir den Rest, der alte Stamm sieht noch so knorrig138 aus, nicht wahr, aber er wackelt schon, es wird Dir nicht zu viel Mühe kosten, ihn zu fällen! Du brauchst nicht nach der Axt zu greifen, Du hast ein hübsches Gesicht, ich hab' Dich noch nie gelobt, aber heute will ich's Dir sagen, damit Du Muth und Vertrauen bekommst, Augen, Nase und Mund finden gewiß Beifall, werde - Du verstehst mich wohl, oder sag' mir, es kommt mir so vor, daß Du's schon bist!

Klara. (fast wahnsinnig, stürzt der Todten mit aufgehobenen Armen zu Füßen und ruft wie ein Kind)
Mutter! Mutter!

Meister Anton.
Faß' die Hand der Todten und schwöre mir, daß Du bist, was Du sein sollst!

Klara.
Ich - schwöre - Dir - daß - ich - Dir - nie - Schande machen - will!

Meister Anton.
Gut! (er setzt seinen Hut auf) Es ist schönes Wetter! Wir wollen Spießruthen laufen139, Straß' auf, Straß' ab! (ab.)

Study Questions, 1. Akt